Sybilles Bücherschau: Frische Lektüre für das Frühjahr 2025
Sybille

Der Frühling ist da – und mit ihm eine Flut neuer Bücher. Ich komme mit dem Lesen kaum hinterher, aber einige der spannendsten Neuerscheinungen möchte ich Euch nicht vorenthalten. Wenig überraschend für alle, die mich kennen: Auch dieses Mal spielen einige meiner Favoriten in den 1920er- und 1930er-Jahren. Mein persönliches Highlight in diesem Monat ist die Wiederentdeckung Dienstmädchen für ein Jahr der norwegischen Autorin Sigrid Boo. von Sybille

1. Uwe Wittstock: Marseille 1940

Varian Fry, ein amerikanischer Journalist, rettete 1940 in Marseille zahlreiche Künstlerinnen und Künstler, indem er mit seinem Emergency Rescue Committee verzweifelt versuchte, ihnen die Emigration in die USA zu ermöglichen. Uwe Wittstocks Buch, erschienen bei C.H.Beck, schildert dieses dramatische Jahr, das als eines der bewegendsten Kapitel der deutschen Literaturgeschichte gilt. Nachdem die deutschen Truppen in Frankreich einmarschierten, gerieten viele geflüchtete Intellektuelle – darunter Heinrich Mann, Franz Werfel, Hannah Arendt und Lion Feuchtwanger – in eine gefährliche Lage. In Marseille kreuzten sich ihre Wege, während sie fieberhaft nach Möglichkeiten suchten, dem nationalsozialistischen Terror zu entkommen. Varian Fry riskierte sein Leben, um die Verfolgten außer Landes zu schmuggeln. Einige schafften es, andere nicht. Manche verloren die Hoffnung. Fry kannte diese Menschen nicht persönlich, bevor er nach Frankreich kam, aber er verehrte ihre Werke. Seine Sturheit, seine Eigenheiten – und vor allem seine unbeirrbare Entschlossenheit – werden in Marseille 1940 eindrucksvoll nachgezeichnet. Das Buch erinnerte mich stellenweise an Florian Illies’ Liebe in Zeiten des Hasses (hier vorgestellt), das mich tief beeindruckt hat. Zudem ist Wittstocks Werk eine ideale Begleitlektüre zur empfehlenswerten Netflix-Serie Transatlantic (hier vorgestellt).

2. Sigrid Boo: Dienstmädchen für ein Jahr

Dienstmädchen für ein Jahr ist eine Wiederentdeckung vom Rowohlt-Verlag aus dem Norwegen der 30er Jahre. Die Autorin Sigrid Boo war schon zu Lebzeiten über die Landesgrenzen hinaus bekannt – ihre Werke wurden in 13 Sprachen übersetzt, und sie veröffentlichte insgesamt zehn Romane. In dieses Buch habe ich mich ein kleines bisschen verliebt. Es ist ein heiteres, positives Werk, das in turbulenten Zeiten ein wenig Eskapismus erlaubt. Die Sprache wirkt – auch dank der gelungenen Übersetzung von Gabriele Haefs – erstaunlich modern, und das Lesen macht einfach große Freude. Worum geht es? Die junge Helga lässt sich aus Eifersucht auf eine gewagte Wette ein: Die Tochter aus gutem Hause will ein Jahr lang als Dienstmädchen arbeiten. Sie landet zunächst im Haushalt einer etwas chaotischen Familie. Später führt ihr Weg sie auf Gut Vinger, wo sie sich schnell einlebt – und sich obendrein in den attraktiven Chauffeur verliebt. Boo spart die Härten des damaligen Dienstmädchen-Daseins weitgehend aus. Zwar deutet sie einige Missstände an, doch ihr Fokus liegt auf den humorvollen und romantischen Momenten. Wer Downton Abbey, Eaton Place oder Der Page vom Dalmasse Hotel (hier vorgestellt) liebt, wird an diesem Buch große Freude haben.

3. Amor Towles: Eve

Bei Eve, erschienen bei Hanser, hat mich sofort das Cover angesprochen: ein elegantes Frauenporträt in Schwarz-Weiß mit Wasserwelle und markantem Lidstrich. Ebenso elegant wie das Bild ist auch die Geschichte, in welcher der britische Autor Amor Towles von den 1930ern in Hollywood und den dunklen Seiten der Traumfabrik erzählt. Im Mittelpunkt steht eine clevere junge Frau aus der Provinz, die es schafft, die Glamourwelt Hollywoods auszutricksen. Nachdem Eve sich von ihrem Freund in New York getrennt hat, beschließt sie, nach Los Angeles zu gehen. Schon bald taucht sie in den angesagten Lokalen an der Seite von Olivia de Havilland auf – jener Schauspielerin, die später als Melanie Hamilton in Vom Winde verweht weltberühmt wird. Die raffinierte Eve nimmt die brave Olivia unter ihre Fittiche. Ihr zur Seite stehen der altgediente, pensionierte Cop Charlie und der ausrangierte Filmstar Prentice. Gemeinsam müssen sie sich mit einem skrupellosen Erpresser-Duo herumschlagen, um Olivias Ruf zu schützen. Ein Spiel mit harten Bandagen und krimineller Energie. Towles erzählt die Geschichte mit einer Prise Film Noir und elegantem Wortwitz – ein spannender Mix aus Hollywood-Glamour, Krimi und raffiniertem Gesellschaftsporträt. Ein Muss für Fans von Ross Macdonald.

4. Yukiko Tominaga: Vermissen auf Japanisch

In Vermissen auf Japanisch, erschienen im Mare Verlag, treffen die japanische, amerikanische und jüdische Kultur aufeinander. Die Japanerin Kyoko verliert durch einen tragischen Unfall ihren Ehemann Levi. Plötzlich steht sie in San Francisco allein da – mit einem Berg Schulden, einem abgebrochenen Studium und ihrem zweijährigen Sohn Alex. Während sie versucht, mit dem Verlust zurechtzukommen, lebt ihre eigene Familie weit entfernt in Tokio. Doch Kyoko erhält unerwartete Unterstützung: von ihrer Mitbewohnerin Mi Cha und ihrer Schwiegermutter Bubbe. Mit ihrer Vorliebe für Wahrsagerinnen, Bananentorte und ausgedehnte Familienbesuche wirbelt die warmherzige Bubbe Kyokos Leben gehörig durcheinander und ermutigt sie gleichzeitig, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Auf Japanisch gibt es übrigens keinen direkten Begriff für das Wort „vermissen“ – vielleicht hat Kyoko auch deshalb besondere Schwierigkeiten mit dem Verlust umzugehen. Die Geschichte wechselt immer wieder zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen westlichen und asiatischen Werten und Traditionen. Ein feinfühliger Episodenroman, der gesellschaftliche Themen mit viel Wärme behandelt – und dabei auch den Humor nicht vergisst.

5. Steffen Schröder: Der ewige Tanz

In Der ewige Tanz, erschienen bei Rowohlt, zeichnet Steffen Schroeder das kurze, aber intensive Leben der Tänzerin Anita Berber nach – eine Ikone der 1920er Jahre, die in einem berühmten Gemälde von Otto Dix verewigt wurde. Im Roman liegt die schwindsüchtige Berber im Berliner Bethanien-Krankenhaus, hustet Blut, sehnt die nächste Morphingabe herbei und blickt auf ihr Leben zurück. Als Kind wurde sie zur Großmutter abgeschoben, während ihre Mutter als Chansonsängerin durch die Hauptstadt tingelte und ihr Vater, der Violinvirtuose Felix Berber, durch Europas Konzertsäle tourte – seine Tochter stets ablehnend. Doch Anita Berber ließ sich nicht unterkriegen: Sie revolutionierte den Tanz mit ihrer ungezügelten Ausdruckskraft, wurde zum It-Girl der jungen Weimarer Republik, Stummfilm-Star und Mittelpunkt rauschhafter Partys. Sie tanzte in Berlin, Wien und sogar im Nahen Osten – und richtete sich mit Drogen zugrunde. Ich war gespannt auf dieses Buch, da mir Schroeders Planck oder als das Licht seine Leichtigkeit verlor sehr gut gefallen hatte. Der ewige Tanz ist gründlich recherchiert und atmosphärisch dicht, wirkt aber stellenweise zu glatt und brav – als würde sich die unbändige Anita Berber nicht so recht in Worte fassen lassen.

6. Regine Ahrem: Leuchtende Jahre. Aufbruch der Frauen 1926–1933

In Leuchtende Jahre, erschienen bei Ebersbach & Simon, nimmt Regine Ahrem ihre Leserinnen mit auf eine Zeitreise: Sie folgt den Spuren von sieben außergewöhnlichen Schriftstellerinnen – Vicki Baum, Marieluise Fleißer, Mascha Kaléko, Irmgard Keun, Erika Mann, Ruth Landshoff-Yorck und Gabriele Tergit. In einer spannenden Collage erzählt sie von ihren Lebenswegen und ihrer künstlerischen Entwicklung zwischen 1926 und der NS-Machtübernahme 1933. Die Frauen gingen ganz unterschiedliche Wege, doch ihre Geschichten überschneiden sich immer wieder. Besonders beeindruckt haben mich Ruth Landshoff und Mascha Kaléko. Ahrem gelingt es, den kulturellen Bruch zwischen der pulsierenden Weimarer Republik und dem repressiven NS-Regime eindrücklich darzustellen. Viele dieser Frauen schrieben gegen Konventionen an, experimentierten mit neuen Erzählformen und kämpften für ihre Unabhängigkeit. Wer die Bücher von Unda Hörner (hier vorgestellt) mochte, wird auch an Leuchtende Jahre Gefallen finden.

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2 Kommentare
  • Dani sagt:

    Liebe Sybille,

    ach wie toll, danke für Deine Vorstellung von „Marseille 1940“! Die Transatlantic-Serie und vor allem die Person Varian Fry hat mich so begeistert. Ich hatte tatsächlich vorher noch nie von ihm und seinem Emergency Rescue Committee gehört – obwohl ja doch viele prominente Personen involviert waren.

    Unter den von Fry geretteten Personen befanden sich, laut Wikipedia u.a. Hannah Arendt, Ernst Josef Aufricht, Georg Bernhard, André Breton, seine Frau Jacqueline und Tochter Aube, Marc Chagall, Marcel Duchamp, Max Ernst, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Fritz Kahn, Siegfried Kracauer, Konrad Heiden, Heinz Jolles, Wifredo Lam, Wanda Landowska, Jacques Lipchitz, Alma Mahler-Werfel, Heinrich Mann und Golo Mann, André Masson, Walter Mehring, Otto Meyerhof, Soma Morgenstern, Hans Natonek, Hans Namuth, Hertha Pauli, Alfred Polgar, Hans Sahl, Franz Werfel, Helen, Kurt und Christian Wolff. Das ist schon krass!

    Tragisch, dass er nach dem Krieg trotzdem so schnell vergessen wurde!

    Spielt Mary Jayne Gold im Buch eine Rolle? In der Serie wurde ihr ja doch recht großer Einfluss zugeschrieben.

    Herzlichst, Daniela

  • Sybille sagt:

    Liebe Dani,

    ich hatte vor der Transatlantic-Serie auch noch nichts von ihm gehört. Wie schön, dass ihm und seinem Emergency Rescue Committee in der Serie und dem Buch ein Denkmal gesetzt wird. Mary Jane Gold und ihr Verhältnis zu „Killer“ Raymond spielt im Buch ebenfalls eine Rolle.

    Liebe Grüße
    Sybille

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