Sybilles Bücherschau: Frauen, Familien & Wiederentdeckungen
Sybille

Nach welchen Kriterien kauft Ihr Bücher? Ich muss gestehen, dass ich ganz häufig danach entscheide, ob mir das Cover gefällt. Und in den meisten Fällen ist die Wahl richtig. Das ist mir letztens erst bei der kleinen Wiederentdeckung „Der Page vom Dalmasse Hotel” so gegangen. Die hübsche Zeichnung auf dem Einband hat mich direkt angesprochen. In den Büchern, die ich in den letzten Monaten gelesen habe, stehen außerdem jede Menge starker Frauen im Mittelpunkt. Außerdem empfehle ich Euch die Bestseller-Reihe rund um Kommissar Gereon Rath, die ich sehr mag. von Sybille

1. Maria Peteani: Der Page vom Dalmasse Hotel

Der Milena Verlag entdeckt immer wieder mal Roman-Juwelen neu: „Der Page vom Dalmasse Hotel” ist ein sehr unterhaltsamer kleiner Roman von Maria Peteani, die in den 1920er Jahren große Erfolge als Schriftstellerin feiern konnte. Die Hauptfigur im „Pagen” ist die junge Friedel Bornemann die dringend eine Stelle in Berlin sucht. Sie hat kein Geld mehr und große Existenzangst. Als sie von einer Stelle als Liftboy im Dalmasse Hotel hört, entschließt sie sich, sich als Mann auszugeben, bekommt die Stelle und beginnt im Nobelhotel zu arbeiten. Die pfiffige Friedel, jetzt Friedrich Kannebach, schlägt sich gut und gerät unversehens in eine Betrugsgeschichte, die sie versucht aufzudecken, inklusive rasanter Verfolgungsjagd. Das alles ist charmant geschrieben, man bangt mit Friedel und hofft, dass ihr kleiner Schwindel nicht auffliegt. Und ja, es geht auch um Liebe und es gibt ein Happy End, aber das alles ist so fein beschrieben und hat so hübsche Wendungen, dass ich es mit großem Spaß bis zum Ende gelesen habe.

2. Volker Kutscher: Die Gereon-Rath-Romane

Bestseller schrecken mich eher ab, aber die Bücher von Volker Kutscher rund um den Ermittler Gereon Rath im Berlin der 20er und 30er Jahre sind so gut und fesselnd geschrieben und historisch so akkurat recherchiert, dass sie einen echten Sog entwickeln. Volker Kutscher schafft es in (fast) jedem seiner Bücher neue Handlungsstränge zu eröffnen und seine Figuren stringent weiterzuentwickeln. Am besten gefallen haben mir „Der nasse Fisch” und „Olympia”. Die Buchreihe ist Vorlage für die Fernsehproduktion „Babylon Berlin”, die sich allerdings immer weiter von der Vorlage entfernt. Davon abgesehen ist die Fernseh-Serie ein absoluter Ausstattungs- und Bilderrausch. In seinem 9. Buch „Transatlantik” wollte Charlotte Rath, die Frau von Kommissar Rath, schon längst im Ausland sein, doch halten die Umstände sie in Berlin fest. Ihr ehemaliger Pflegesohn Fritze sitzt in der geschlossenen Abteilung der Nervenheilanstalt Wittenau, ihre beste Freundin Greta ist spurlos verschwunden und steht unter Mordverdacht. Der untergetauchte und von den Behörden für tot gehaltene Gereon Rath flieht per Zeppelin in die USA. Charly versucht, Fritze aus der Klinik zu holen und das Verschwinden von Greta zu klären, während Gereon in den USA alte Bekannte wieder trifft und in deren Machenschaften verwickelt wird. Der Piper-Verlag hat eine ganze Seite für die Gereon-Rath-Welt eingerichtet.

Maria Peteani: Der Page vom Dalmasse Hotel

„Der Page vom Dalmasse Hotel“ und die Gereon-Rath-Romane spielen im Berlin der 20er und 30er Jahre

3. Dirk Stermann: Mir geht’s gut – wenn nicht heute, dann morgen

Was für eine Frau! Nach dem Interview in seiner Talkshow besucht der österreichische Fernsehmoderator Dirk Stermann Erika Freeman jeden Mittwoch, um mit ihr über ihr Leben und die Welt zu sprechen. Die 1927 geborene Wienerin flieht mit 12 Jahren ganz auf sich gestellt vor den Nazis nach New York. Ihre Mutter, deren Leben Vorlage für den Film „Yentl” von Barbra Streisand war, bleibt in Wien und überlebt den Krieg nicht. Erika wächst in einem Waisenhaus auf, hat Anteil an der Gründung Israels und wird nach dem Studium Psychoanalytikerin. Als Therapeutin ist sie bald eine Berühmtheit. Mit 95 Jahren ist sie nun wieder Österreicherin geworden, residiert im berühmten Wiener Hotel Imperial, wo einst Hitler nächtigte, und bezaubert durch ihre Lebensweisheit, Güte und Frische. Sie nimmt auch im hohen Alter an der Welt teil und teilt dezidiert ihre Meinung mit – wie etwa über Donald Trump, den sie mit Hitler vergleicht: „…das war schon immer so. Hitler erlaubte dir zu hassen. Und die Leute lieben die, die ihnen zu hassen erlauben. Du musst nur Lügen so lange wiederholen, bis die Menschen sie glauben.” Sätze von erschreckender Aktualität. Lest Erika Freeman! „Mir geht’s gut – wenn nicht heute, dann morgen” ist bei Rowohlt erschienen.

4. Jana Revedin: Flucht nach Patagonien

Im Februar begeben sich Eugenia Errázuriz, die einflussreichste Kunstmäzenin der Pariser Moderne (sie hat unter anderem die Karrieren von Coco Chanel, Pablo Picasso und Igor Strawinsky gefördert) und der junge jüdische Innenarchitekt Jean-Michel Frank auf eine Schiffsreise nach Patagonien. Er soll das erste Grandhotel in den Anden bauen, in das sie ihr gesamtes Vermögen investiert. Zugleich ist dieses Projekt am südlichsten Ende der Welt ihre Flucht aus Europa, das sie vom aufziehenden Nationalsozialismus bedroht sieht. Bisher hatte ich weder von Eugenia noch von Jean Frank gehört. Das langsame, sehr schön geschriebene Buch versammelt Impressionen aus dem Paris der 20er Jahre, Eindrücke aus Südamerika und macht neugierig auf das Werk und Design von Jean-Michel Frank, der ein Cousin von Anne Franks Vater war. „Eleganz heißt Weglassen”, war Eugenia Errázuriz Motto. „Ich war kaum überrascht, dass sie aus dem Muttersöhnchen Jean-Michel Frank ihr „letztes Talent“ und den bedeutendsten Designer der 1930er Jahre machte” sagt die Autorin des Buches Jana Revedin. „Flucht nach Patagonien” ist im Aufbau Verlag erschienen.

5. Simone Meier: Die Entflammten

Vincent und Theo van Gogh kennt jeder. Doch Jo van Gogh-Bonger ist eher unbekannt. Doch ohne sie wäre Vincent van Gogh (1853–1890) nie berühmt geworden. Von dieser klugen Frau erzählt Simone Meier in ihrem vierten Roman „Die Entflammten”. Jo ist mit Vincents Bruder Theo verheiratet, der an der Syphilis stirbt. Kurz zuvor hat sich Theos Bruder Vincent van Gogh erschossen. Jo bleibt mit ihrem Baby zurück, in ihrem Besitz zudem Hunderte Bilder ihres Schwagers. Sie beschließt, Vincent weltberühmt zu machen, u.a. durch den Verkauf von Postkarten und so beginnt die Erfolgsstory. Über hundert Jahre später stößt die Kunsthistorikerin Gina auf Jos Geschichte. Ginas Vater ist Schriftsteller und versucht seit zwanzig Jahren erfolglos, sein zweites Buch zu schreiben. An seiner Seite wird Ginas Faszination für Jo selbst zu einem rauschhaften Roman über eine kurze, aber folgenreiche Liebe. Und über zwei Familiengeschichten im Zeichen der Kunst. Die Kapitel wechseln sich ab zwischen dem Leben der Jo van Gogh-Bonger und dem von Gina und irgendwann verschwimmen sie. Das Buch ist wunderbar geschrieben, man lernt viel über die Lebenswirklichkeiten der damaligen Zeit. Wie geht es zum Beispiel Frauen körperlich, die 10 Kinder bekommen haben? Oder warum sah das Foyer hinter der Bühne der Pariser Opéra aus wie ein Bordell? „Die Entflammten” ist bei Kein & Aber erschienen.

6. Constanze Neumann: Wellenflug

„Wellenflug“ – so heißt ein Fahrgeschäft auf einem Dresdner Rummelplatz. Das gleichnamige Buch ist aber auch das Doppelporträt zweier sehr unterschiedlicher Frauen. Anna, geboren im 19. Jahrhundert als Tochter eines Stofffabrikanten, heiratet in die Familie Reichenheim ein. Sie kümmert sich nach der Heirat um die Kinder und das große Haus in Berlin. Ihr ältester Sohn Heinrich schert sich nicht um die Konventionen seiner großbürgerlichen Familie, geht im Berliner Nachtleben auf und verfällt der Spielsucht. Er verliebt sich in Marie, Garderobiere in einem Theater, was von seiner Mutter nicht akzeptiert wird. Heinrich wird aus der Familie ausgeschlossen und geht mit Marie nach Amerika. Hier bleiben sie, bis der Erste Weltkrieg sie zurück nach Deutschland holt. Die Familie schließt sie weiterhin aus, auch als der Nationalsozialismus seine Schatten vorauswirft. Anna stirbt 1932, unversöhnt mit Heinrich. Während seine Geschwister fliehen, bleibt Heinrich in Deutschland. Marie gibt ihm Halt, als sie ums Überleben kämpfen. Constanze Neumann fängt die Leben der beiden Frauen wunderbar ein und erzählt davon, wie untrennbar Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verwoben sind. “Wellenflug” ist im Ullstein Verlag erschienen.

Dirk Stermann: Mir geht’s gut - wenn nicht heute, dann morgen

Im Mittelpunkt der vier Romane „Mir geht’s gut – wenn nicht heute, dann morgen“, „Die Entflammten“, „Flucht nach Patagonien“ sowie „Wellenflug“ stehen starke Frauen

 

Enttäuscht: Francesca Cartier Brickell: Die Cartiers

Die Cartiers – Eine Familie und ihr Imperium“ war eine von Virginias Entdeckungen der Frankfurter Buchmesse. Darum geht’s: Francesca Cartier Brickell fallen bei einem Besuch ihres Großvaters zahlreiche, verschollen geglaubte Briefe in die Hände. Sie sind die Grundlage für das Buch um das 1847 in Paris gründete Cartier-Imperium. Die Geschichte liest sich ein wenig wie ein Gesellschaftsroman. Es geht um luxuriösen Schmuck, aber auch arrangierte Ehen und andere Familienzwistigkeiten. Schmuckstücke werden beschrieben, ebenso die Kunst der Cartier-Handwerker. Anekdoten rund um Prominente gibt es reichlich. Und es geht darum, wie ein Familienimperium aufgrund von Familienquerelen zerschlagen werden kann. Was mich geärgert hat, waren die zum Teil sehr lockeren Formulierungen, die im Kontext unpassend wirken. Außerdem gibt es einige historische Fehler. So wird Marie-Louise von Habsburg als 1. Frau Napoleons bezeichnet – sie war seine 2. Frau. Außerdem wird Adolf Hitler eine holländische Geliebte angedichtet. Die Quelle von Cartier Brickel sind in diesem Fall die Memoiren eines italienischen Playboys. Da hätte ich mir vom Fachlektorat des renommierten Insel-Verlages doch mehr Gründlichkeit erwartet.

MEHR ZUM THEMA

Lady-Blog Bücherschau

Newsletter Information

2 Kommentare
  • Dani sagt:

    Liebe Sybille,

    das sind wieder spannende Titel die Du uns da vorstellst. „Der Page vom Dalmasse Hotel“ hat mich vom Cover auch sofort angesprochen und auch der Inhalt klingt ganz zauberhaft! Und die Gereon-Rath-Romane muss ich mir jetzt endlich mal vornehmen. „Der nasse Fisch“ haben wir hier sogar im Buchregal stehen! Schade, dass „Die Cartiers“ nicht überzeugen konnte!

    Herzlichst, Dani

  • Sybille sagt:

    Liebe Dani,

    der „Page“ ist ein wirklich zauberhaftes Buch. Und Volker Kutschers Bücher sind meiner Meinung nach ein „Muss“.

    Sybille

Hinterlasse doch einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mit dem Klicken des Buttons „Kommentar Abschicken“ willige ich in die Übermittlung meiner personenbezogenen Daten ein, zum Zwecke der Veröffentlichung des Kommentars und Kontaktaufnahme im Falle der Klärung inhaltlicher Fragen. Mir ist bekannt, dass ich diese Einwilligung jederzeit ohne Angabe von Gründen mit Wirkung für die Zukunft widerrufen kann. (Datenschutzerklärung, Impressum)
Mit einem Klick auf den Button „Jetzt anmelden“ willige ich in die Übertragung und Nutzung meiner personenbezogenen Daten zur Sendung werblicher e-Mails ein. Diese Einwilligung kann ich jederzeit ohne Angabe von Gründen mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Impressum | Datenschutzerklärung