„Reserve“ von Prinz Harry: Ein Buch & zwei Meinungen
Virginia

Wer an die britischen Royals denkt, der hat unweigerlich auch die Skandale um die königliche Familie vor Augen. Sei es die Abdankung von König Edward VIII aufgrund seiner Hochzeit mit einer geschiedenen Amerikanerin, die Scheidung von Charles und Diana und sein Verhältnis zu Camilla, Dianas Tod oder die jugendlichen Eskapaden von Prinz Harry. In jüngster Zeit hat vor allem letzterer dafür gesorgt, dass die Royal Family vermehrt negativ in die Schlagzeilen geraten ist. Wir haben uns sein Enthüllungsbuch Reserve* genauer angesehen und waren uns nicht einig. von Virginia & Nina

Nina: Mit dem Buch hat sich Harry keinen Gefallen getan!

Es ist das sicherlich mit am meisten diskutierte Buch des Jahres. Britische Medien bezeichnen es sogar als die „schlimmste Krise der Royals seit 30 Jahren“. Gemeint ist natürlich „Spare“ mit dem deutschen Titel „Reserve“* – geschrieben vom Duke of Sussex, Prinz Harry himself. Das Buch ist klar in drei Teile gegliedert: Harrys Kindheit und Teenagerzeit, die von der Aufdringlichkeit der britischen Presse überschattet ist und mit dem Tod seiner Mutter endet, seine Zeit beim Militär und schließlich das Kennenlernen von Harry und Meghan, die Schwierigkeiten, denen sich das Paar von Anfang an ausgesetzt sah und die Entwicklungen, die letztlich zu dem sogenannten „Mexit“ führten. Es geht in Reserve vor allem um pikante Details aus Harrys Leben, bzw. aus dem verschiedener Familienmitglieder. Und es ist offensichtlich einem starken Bedürfnis entsprungen, seine Sichtweise auf verschiedene Themen darzustellen, darunter auch politische Themen, was bei Mitgliedern der königlichen Familie durchaus ungewöhnlich ist.

Einige Kritiker haben angeprangert, dass Prinz Harry sich als Weltverbesserer darstelle. Das kann ich so bestätigen. Natürlich ist es lobenswert, dass sich der Prinz für Wohltätigkeitsorganisationen und wichtige Themen wie psychische Gesundheit und Umweltschutz einsetzt, allerdings habe ich häufig den Eindruck, als würde er diese Themen gleichzeitig nutzen, um sich selbst als moralischen Vordenker zu inszenieren. Gut weg kommt in Reserve eigentlich nur einer – nein zwei: Harry und Meghan. Wobei, selbstverständlich auch noch seine geliebte Mutter, Prinzessin Diana. Diese wird von ihm sogar regelrecht auf einen Thron gehoben (wie passend), was einerseits verständlich ist – Diana war eine tolle, charismatische Frau. Andererseits wirkt es aber auch sehr übertrieben und gespickt von überromantisierten Kindheitserinnerungen Harrys. Übrigens empfand ich das auch schon bei einer Szene in der Netflix-Doku „Harry & Meghan“ so: Meghan steht mit der kleinen Lilibeth auf dem Arm vor einem offiziellen Bild von Diana, sie deutet darauf und flüstert lächelnd: „That’s your Grandma“. Auch hier wirkten solche Szenen geschauspielert und nicht authentisch.

Was mich an dem Geschriebenen aber am meisten stört: Prinz Harry stellt es als Lebensinhalt und größtes Ziel dar, die Privatsphäre seiner Familie schützen zu wollen. Durch seine Veröffentlichung hat er aber alle Beteiligten in eine sehr öffentliche Situation gebracht, obwohl absehbar war, das dies zu zu weiteren Kontroversen und Spekulationen führen wird. Ich möchte zu Harrys „Verteidigung“ nicht unerwähnt lassen, dass er eine alles andere als unbeschwerte Kindheit hatte (obgleich das natürlich kein Geheimnis ist). Klar könnte man da entgegnen: Wer hatte schon eine perfekte Kindheit? Aber permanent der Überwachung der Presse ausgesetzt zu sein, ständig die Augen aller auf sich gerichtet zu spüren, die nur darauf warten, den Moment einer Fehlbarkeit zu erhaschen, muss unfassbar schwer sein. Dazu der offensichtlich für ihn sehr traumatische frühe Unfalltod seiner Mutter und – on top – das Gefühl immer nur die zweite Geige nach William zu spielen, haben sicherlich zu einer schwierigen psychischen Verfassung geführt.

Trotzdem. Nach dem Weglegen des Buches, hatte ich persönlich nur einen Gedanken: „Ach Harry, damit hast du dir keinen Gefallen getan.“ Übrigens passend zu meinem Empfinden ist Prinz Harry in der Gunst der Briten momentan auf ein Rekordtief gerutscht. Laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov haben inzwischen 64 Prozent der Befragten eine negative Meinung von dem Prinzen. Für Royal- (und Klatsch!-)Fans ist Reserve aber trotz allem ein Muss würde ich sagen. Denn nie gab es einen privateren Einblick in das Leben der britischen Royal Family!

Nina ist freie Fotografin (bei Insta: Streifenliebe) und hat hier schon einen Artikel über ihre Heimat Rosenheim geschrieben

Im Kern geht es in „Reserve“ von Prinz Harry um ein Offenlegung und Abrechnung mit der Arbeitsweise der britischen Boulevardpresse sowie eine deutliche Kritik an der Zusammenarbeit seiner Familie mit der Presse

Virginia: Jetzt kann ich Harry und Meghan verstehen!

Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich Prinz Harrys Autobiografie „Reserve“ lesen soll oder nicht, denn ich war ihm und seiner Frau gegenüber alles andere als positiv eingestellt. Ein erstes Umdenken fand statt, nachdem ich mir die Netflix-Doku „Harry & Meghan“ angeschaut habe. Ja, das Paar hat für die Dokumentation ordentlich Geld kassiert. Ja, Meghan kommt aus dem Business und weiß sich genau in Szene zu setzen. Ja, die Doku ist technisch gesehen wirklich gut gemacht. Das Storytelling nimmt den Zuschauer von Anfang an mit, es gibt zahlreiche private Einblicke in die Königsfamilie – wenn auch einseitig -, die einem sonst verwehrt bleiben. Dennoch haben sich nach der Doku leise Zweifel bei mir eingeschlichen, ob Harry und Meghan wirklich ausschließlich „die Bösen“ sind oder ob sie vielleicht gute Gründe für ihr Verhalten hatten. Um mir ein objektives Bild machen zu können, entschied ich mich, mir neben Büchern wie „Palace Papers“ auch Harrys persönliche Sichtweise anzulesen – und diese beschäftigt mich bis heute. Eines macht er allem voran deutlich: Als Mitglied des britischen Königshauses lebt es sich weder einfach noch frei.

Selbst die gängige Formulierung eines „Lebens in einem goldenen Käfig“ umreißt nur ansatzweise, was es wirklich bedeutet, Teil der wohl bekanntesten Familie der Welt zu sein. Es bedeutet in erster Linie, keine Persönlichkeitsrechte zu besitzen. Es bedeutet, nur durch den Umstand der königlichen Geburt in ein Leben gezwungen zu werden, in dem ein ständiges Hin- und Hergezerre zwischen Palast und Medien stattfindet, um gute Presse oder bestenfalls überhaupt keine Presse zu generieren. Denn die Monarchie ist direkt abhängig davon, wie und ob das Volk sie als wichtig oder überholt bewertet. Bricht man wie Harry aus diesem Spiel aus, bedeutet das: Man wird von Paparazzi verfolgt, physisch und psychisch massiv bedrängt, gestalkt, medial ausgeschlachtet, unmündig gemacht und charakterlich demontiert. Dass Harry dies mit einer gewissen Bitterkeit schildert, ist kaum verwunderlich. Erschreckend offen schildert er den Umgang mit dem Tod seiner Mutter innerhalb der Familie. Man möchte den zutiefst erschütterten, verstörten Prinzen immer wieder nur in die Arme schließen, ihm Trost und den Halt geben, den er in seiner Familie nicht gefunden hat.

Dies beschreibt einen weiteren Kernpunkt: Harrys Familie funktioniert eher wie ein Institution. Es gibt kaum körperliche Nähe und auch emotionale Zuwendung ist selten und reserviert. Deutlich wird, wie sehr sich Harry nach einem normalen Leben sehnt, wie schwer es ihm unter seinen Lebensbedingungen fiel, persönliche Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten. Es verwundert keineswegs, dass er verzweifelt nach Auswegen suchte und dabei auch zu Drogen und Alkohol griff. Er schildert seine desolate Gefühlswelt und innere Zerrissenheit eindrücklich, analysiert sich selbst und seine zahlreichen Verfehlungen messerscharf und ohne Weichspüler. Das macht seine Schilderungen auch so glaubwürdig. Es ist keineswegs so, dass er seine Familie als böse und sich selbst als gut darstellt. Er ist sehr um Sachlichkeit bemüht und erkennt deutlich, dass auch seine engsten Familienangehörigen genauso wie er Teil eines äußerst komplexen und schwierigen Gefüges sind. Vieles von dem was er schildert, über geschwisterliche Rivalitäten, Auseinandersetzungen mit dem Vater oder der Schwierigkeit, eine neue Frau als Partnerin seines Vaters zu akzeptieren, könnte sich in einer ganz normalen Familie abspielen. Bei den Royals bekommt es jedoch eine unglaubliche Schwere, weil alles eng mit der Institution Monarchie und den Außenwirkung auf’s britische Volk zu tun hat.

Wenig verwundert auch die Bitterkeit über den Fakt, dass zwischen ihm und seinem Bruder von klein auf ganz klar unterschieden wurde, nämlich zwischen dem „Heir“ (Erbe) und dem „Spare“ (Reserve). Das ist es vielleicht, was mich am nachdrücklichsten getroffen hat. Harry benannte sein Buch nach seinem Status ab seiner Geburt – Reserve. Ihm ist seit frühester Kindheit bewusst, dass er allein deshalb existiert, um den Ersatzmann für seinen Bruder zu stellen. Wie muss es sich wohl anfühlen in dem Bewusstsein aufzuwachsen, dass man als Mensch nicht wirklich zählt und nur den älteren Bruder in seiner Funktion ersetzen soll, sollte diesem etwas zustoßen bevor er Nachkommen gezeugt hat? Sehr nachdrücklich beschreibt er auch die Geheimhaltung und das Versteckspiel die seine Beziehung zu Meghan von Beginn an dominierten; die sofort einsetzende Hetzjagd, die zahlreichen Hürden vor und die mediale Feuerwalze nach der royalen Hochzeit. Er berichtet über intrigante Palastmitarbeiter und Rangeleien um gute Presse zwischen den PR-Büros seines Bruders, Vaters und eigenen Stabs und seinen aussichtslosen Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit. Ich fühlte mich unweigerlich in die 90er versetzt, in der Diana dasselbe erlebte und ebenso wenig von der „Firma“ geschützt wurde. Verständlich, warum Harry sich so nachdrücklich vor seine Partnerin stellt und alles tut um sie schützen!

Ob nun alles von Harry Geschilderte zu 100% der Wahrheit entspricht oder vielleicht nur zu 50% ist für mich tatsächlich nebensächlich – die Wahrheit liegt vermutlich irgendwo in der Mitte. Die königliche Familie hat in vielen Punkten sicherlich eine andere Sicht auf die Dinge und so manches würde sich als Missverständnis aufgrund der verhärteten Fronten herausstellen. Im Buch geht es jedoch vor allem um die gefühlte Wahrheit, es geht darum was Harry und seine Frau erlebt und wie sie es wahrgenommen haben. Für Harry bedeutet sein Buch ein Befreiungsschlag von jahrzehntelangen Verleumdungen und Falschdarstellungen durch die Presse. Er möchte dem ewigen Versteckspiel hinter Stäben, sogenannten Insidern und Palaststimmen ein Ende machen und den Teufelskreis durchbrechen, in dem er und seine Familie sich zeitlebens befinden. So begründet er auch sein vielkritisiertes Interview mit Oprah Winfrey. Im Grunde hat Harry nur zwei tiefe Wünsche: Er möchte als der Mensch, der er wirklich ist anerkannt werden und er verlangt ein Privatleben ohne Einschränkungen. Eigentlich sehr menschlich und nachvollziehbar, oder?

Prinz Harry - Reserve: Ein Buch & zwei Meinungen

Habt Ihr das Buch schon gelesen? Welche Sichtweise vertretet Ihr? Wir sind gespannt Eure Meinung zu hören!

Hier geht’s zu den Blogposts unserer Royal Week
*Affiliate-Links

MEHR ZUM THEMA

Prinz Harry Reserve

Newsletter Information

1 Kommentar
  • Claudia Roszak sagt:

    Guten Morgen, liebes Lady-Blog Team,
    vielen Dank für die tollen Artikel von Nina und Virginia.
    Ich bin Fan von beiden Teams -William/Kate und Harry/Megan.
    Wenn ich morgens bei Arbeitsbeginn das Internet öffne, sehe ich fast jeden Tag als Erstes Schlagzeilen über Meghan und Harry, mit vermeintlich schlimmsten Verfehlungen. Ich lese diesen Kram nicht mehr und es tut mir unendlich leid, was die beiden durchmachen müssen. Deshalb habe ich beschlossen, mich diesen Negativhype soweit wie möglich zu entziehen und das Buch nicht zu lesen. Ich werde es auch weiterhin nicht lesen.
    Meiner Meinung nach sind auch William und Kate Opfer des Systems, auch sie leiden.
    Ich verstehe nicht, warum der König zulässt, dass seine Söhne und Schwiegertöchter zerstört werden in aller Öffentlichkeit. Es ist seine Familie und deshalb seine Verpflichtung diesen Konflikt unter Einbeziehung von Fachleuten unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu lösen.
    Auch sollte diese Monarchie dringend modernisiert werden.

Hinterlasse doch einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mit dem Klicken des Buttons „Kommentar Abschicken“ willige ich in die Übermittlung meiner personenbezogenen Daten ein, zum Zwecke der Veröffentlichung des Kommentars und Kontaktaufnahme im Falle der Klärung inhaltlicher Fragen. Mir ist bekannt, dass ich diese Einwilligung jederzeit ohne Angabe von Gründen mit Wirkung für die Zukunft widerrufen kann. (Datenschutzerklärung, Impressum)
Mit einem Klick auf den Button „Jetzt anmelden“ willige ich in die Übertragung und Nutzung meiner personenbezogenen Daten zur Sendung werblicher e-Mails ein. Diese Einwilligung kann ich jederzeit ohne Angabe von Gründen mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Impressum | Datenschutzerklärung