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Ich liebe es, im Sommer im Garten zu sitzen und in der Sonne zu lesen. Zum Glück liefern die Verlage reichlich passende Lektüre. Für mich habe ich die französische Schriftstellerin Colette neu und den Schriftsteller W. Somerset Maugham wiederentdeckt. In meiner Bücherschau gibt’s auch einen Debütroman aus dem Jahr 1928, eine wunderbare Erzählung von Katherine Mansfield sowie Biografisches über Hildegard Knef und Rainer Maria Rilke. von Sybille
Dani Shapiro: Leuchtfeuer
Im August 1985 steigen drei Teenager in ein Auto. Sarah hat Alkohol getrunken und übergibt ihrem kleinen Bruder die Schlüssel für das Auto der Mutter. Theo wiederum möchte das Mädchen Misty beeindrucken und versucht, sich während der Fahrt eine Zigarette anzuzünden. Es kommt, wie es kommen muss: Ein Unfall passiert, Misty stirbt. Das tragische Ereignis wird in den Folgejahren totgeschwiegen – und prägt das Leben der Familie Wilf bis in die kleinsten Details. Der Junge Waldo nimmt dabei eine zentrale Rolle ein. Erzählt wird nicht linear, sondern aus verschiedenen Perspektiven und zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Das klingt kompliziert, macht es aber so fesselnd, dass man Leuchtfeuer*, erschienen bei Hanser, kaum aus der Hand legen möchte. Dani Shapiro webt tiefgründige, tröstliche Gedanken in ihre Geschichte – über Verlust, Familie und das, was uns im Innersten zusammenhält. Das Buch nimmt uns mit in ferne Galaxien und zeigt: Das Universum ist voller Wunder. Auch wer selbst trauert, kann hier Trost finden.
Margaret Goldsmith: Good-Bye für heute
Was für ein modernes Buch! Wüsste man nicht, dass Margaret Goldsmiths Debütroman Good-Bye für heute* bereits 1928 erschienen ist (neu entdeckt bei Aviva), man könnte meinen, die Geschichte spiele in unserer Zeit – so verblüffend aktuell sind die Themen und Konflikte. Erzählt wird die Geschichte der Familie Tarnowitz: Die junge Medizinstudentin Karin lebt mit ihrer Mutter Jean und ihrem Zwillingsbruder Erhard nach dem Tod des Vaters im einstigen Stadtdomizil der Familie am Berliner Lützowplatz. Jean, eine gebürtige US-Amerikanerin, arbeitet nach dem Tod ihres Mannes – Graf Tarnowitz – wieder als Journalistin. Sie ist überzeugte Demokratin, ihre Tochter Karin sympathisiert mit der sozialistischen Partei. Bruder Erhard hingegen träumt von der Rückkehr zur Monarchie und entpuppt sich als fanatischer Nationalist und Antisemit. Goldsmith, die selbst als Journalistin tätig war und als stellvertretende US-Handelskommissarin in Berlin wirkte, schildert die Prägungen verschiedener kultureller Milieus und Herkunftsländern beeindruckend und fortschrittlich – ebenso wie in ihrem Roman „Patience geht Vorüber“, den ich hier vorgestellt habe.
Madeleine St. John: Ein Sommer in Sydney
Die große Schriftstellerin Hillary Mantel sagte über dieses Werk: „Kein Buch verschenke ich häufiger, um Leute aufzumuntern“. Wie recht sie hat! Ein Sommer in Sydney* von Madeleine St. John, erschienen im Oktopus Verlag, ist ein echter Wohlfühlroman – perfekt für einen Nachmittag im Liegestuhl. Im Mittelpunkt steht das Kaufhaus Goode’s in Sydney, Ende der 1950er-Jahre. In der zweiten Etage verkaufen Patty, Fay, Magda und Lisa – die sogenannten „Frauen in Schwarz“, benannt nach ihren Dienstuniformen – Cocktailkleider. Patty, Anfang dreißig, wünscht sich Kinder. Die unglücklich verliebte Fay hat Schwierigkeiten mit Männern. Der glamourösen Magda hingegen scheint alles in den Schoß zu fallen: Glücklich verheiratet und erst kürzlich nach Australien eingewandert, verantwortet sie die wahren Schätze – die Modellkleider. Und dann ist da noch die schüchterne Lisa, die während der Schulferien als Aushilfe bei Goode’s arbeitet und von einem Leben als Dichterin träumt. Ein Sommer in Sydney, 1993 unter dem Titel The Women in Black erschienen, war der erste Roman von Madeleine St. John – und der einzige, der in ihrer Heimat spielt.
Colette: Claudines Elternhaus
Prinzipiell bin ich ja eher der englischsprachigen Literatur zugeneigt, aber Claudines Elternhaus* von Colette hat mir wieder einmal gezeigt, dass es auch in Frankreich jede Menge wunderschöne Lektüre zu entdecken gibt! Colette, die heute in einem Atemzug mit Proust und Flaubert genannt wird, sorgte Anfang des 20. Jahrhunderts mit ihrem freizügigen Leben für Skandale. Claudines Elternhaus ist Teil einer autobiografisch geprägten Romanreihe rund um die Titelheldin Claudine – insgesamt sechs Bände erzählen Episoden aus Colettes Leben. In diesem Band, erschienen bei Zsolnay, erinnert sich die Autorin an ihre Kindheit und Jugend in einem kleinen burgundischen Dorf. Sie berichtet über ihre Eltern und Geschwister, über das Leben im Dorf und über ihre geliebten Tiere. Dabei schreibt sie so detailreich, liebevoll und voller Witz, dass man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Besonders ihre Tierporträts sind wundervoll, treffend und sehr lebendig erzählt. Weitere Bücher von Colette stehen schon auf meiner Wunschliste.
Siehe auch: Das ungewöhnliche Leben der Sidonie Colette
W. Somerset Maugham: Oben in der Villa
Somerset Maugham entführt uns in seinem atmosphärischen Kurzroman Oben in der Villa* (erschienen bei Diogenes) ins Florenz der 1940er Jahre: Mary Panton, Engländerin, 30 Jahre alt und bereits verwitwet, lebt oberhalb der Stadt in einer gemieteten Villa. Vor einem Jahr kam ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben – das gemeinsame Vermögen hatte er zuvor leider „verschleudert“. Mary steht nun ziemlich mittellos da. Es treten auf: Sir Edward Swift – älter als Mary und rettungslos in sie verliebt. Und der Abenteurer Rowley Flint. Eine weitere Rolle spielt ein geigenspielender Flüchtling. Mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Was wie eine eher harmlose Erzählung beginnt, entwickelt sich zu einem spannenden, beinahe kriminalistischen Kammerspiel, das mich an den Film „Die Strohpuppe“ erinnert hat. Darüber hinaus bietet Oben in der Villa einen der schönsten Schlusssätze, die ich jemals gelesen habe: „Liebling, dazu ist das Leben doch da – dass man es wagt!“ Mein Fazit: Wir sollten mehr Somerset Maugham lesen!
Katherine Mansfield: In der Bucht
Die neuseeländische Schriftstellerin Katherine Mansfield wurde nur 34 Jahre alt, hat in ihrem kurzen Leben aber einige der besten Erzählungen der Weltliteratur geschrieben. In der Bucht*, erschienen im Mare Verlag, ist eine dieser literarischen Perlen und überzeugt durch die atmosphärische Schilderung der Landschaft, des Strandes und des funkelnden Meeres. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich die Geschichte der Familie Burnell – vom Bad im Meer bis zur angedeuteten Liebesaffäre. Klug, präzise und sehr modern erzählt Mansfield und reißt dabei schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Fragen von Geschlechterrollen und anderen gesellschaftlichen Zwängen an. Das Buch ist, wie alle im Mare Verlag erschienenen Werk, wunderschön gestaltet und ein bibliophiles Kleinod für jede (Privat-)Bibliothek.
Christian Schröder: Für mich soll’s rote Rosen regnen. Hildegard Knef
Hildegard Knef ist eine der wenigen deutschen Schauspielerinnen, die auch international Erfolg feierten. Und doch blieb sie stets eine Diva mit Bodenhaftung. In Christian Schröders Biografie Für mich soll’s rote Rosen regnen*, erschienen bei Ebersbach und Simon anlässlich ihres 100. Geburtstags, tritt sie uns erneut entgegen: als mutige, kluge und unkonventionelle Frau, die ihr Leben selbst in die Hand nahm. Knef feierte Erfolge am Broadway – als erste (und bis heute einzige) Deutsche in einer Hauptrolle im Musical Silk Stockings, der Bühnenversion des Greta-Garbo-Klassikers Ninotschka. Ella Fitzgerald nannte sie bewundernd die „beste Sängerin ohne Stimme“. Anfang der 60er-Jahre startete sie ihre zweite Karriere: als Chansonsängerin mit selbst geschriebenen, zutiefst persönlichen Texten: Ich brauch‘ Tapetenwechsel, Eins und eins, das macht zwei – und natürlich Für mich soll’s rote Rosen regnen. Außerdem war sie eine erfolgreiche Buchautorin. Für die Biografie konnte Christian Schröder erstmals den Nachlass der Knef einsehen. Entstanden ist eine angenehm lesbare, gut recherchierte Annäherung an eine Künstlerin, die sich nie einordnen ließ.
Simone Frieling: Da rauscht das Herz. Rilke und die Frauen
Rainer Maria Rilkes Wirkung auf Frauen ist legendär: Sie lagen ihm reihenweise zu Füßen und immer wieder fand er großzügige Mäzeninnen. Simone Frieling porträtiert sie in Da rauscht das Herz*, erschienen bei Ebersbach und Simon, aus neuem Blickwinkel und setzt ihnen ein eindrucksvolles Denkmal – von der übermächtigen Mutter Sophia über seine Frau Clara Rilke-Westhoff und Tochter Ruth bis hin zu seinen zahlreichen Gefährtinnen wie Marie von Thurn und Taxis, Lou Andreas Salomé, Blandine Klossowska und Marina Zwetajewa. Dabei verschwiegt sie nicht, dass Rilke eigentlich jede Menge Probleme mit Frauen hatte, beginnend (natürlich) mit seiner Mutter, mit der er fast ausschließlich in Briefen Kontakt hielt. Auch in anderen Beziehungen geht der meist sehr selbstbezogene (und selbstmitleidige) Rilke irgendwann auf briefliche Distanz. Als Dichter war Rilke genial, als Mensch bleibt er mir unsympathisch.
Aus der sehr empfehlenswerten blue notes Reihe von Ebersbach und Simon haben wir Euch z.B. auch schon die Bücher Franz Kafka und Dora Diamant, Gartenkünstlerinnen und Unda Hörner: 1929 – Frauen im Jahr Babylon vorgestellt
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Liebe Sybille, deine Buchempfehlungen lese ich immer mit großem Interesse. Dieses Mal sprechen mich besonders „Good-bye für heute“ und „Ein Sommer in Sidney“ an – dass Hilary Mantel das Buch ebenfalls empfiehlt, ist schon ein ziemlich überzeugendes Zusatz-Argument, es zu lesen;) Vielen Dank für die immer geistreichen und hervorragend kuratierten Tipps! Hanna
Liebe Hanna,
es freut mich sehr, dass Dir meine Buch-Tipps gut gefallen und danke für Dein großes Lob. Die nächsten Buchempfehlungen kommen bestimmt.
Herzliche Grüße
Sybille