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Der Herbst bietet sich einfach an für gemütliche Lesestunden – auf dem Sofa, vor dem Kamin oder eingekuschelt im Bett. Ich habe mich wieder auf die Suche nach passender Lektüre gemacht und bin dabei nicht nur auf Neuheiten gestoßen, sondern habe auch wieder Bücher entdeckt, die schon vor einigen Jahren erschienen sind, etwa Die Brontës gingen zu Woolworths. Unter den Neuerscheinungen hat mir besonders Der Barmann des Ritz gefallen. von Sybille
Rachel Fergusson: Die Brontës gingen zu Woolworths
Direkt am Anfang steht mein absolutes Wohlfühlbuch für stürmische Herbsttage: Die Brontës gingen zu Woolworths, erschienen bei Harper Collins, wurde 1931 von der englische Journalistin Rachel Fergusson veröffentlichte. Der Titel deutet es schon an: Im Roman überlagern sich fiktive Realität und Fantasie und das auf sehr humorvolle Weise. Ich würde ihn als Mischung aus „Mitford-Sisters meet Alice in Wonderland“ bezeichnen. Die Heldin und Ich-Erzählerin Deirdre Carne lebt mit ihrer Mutter und den beiden Schwestern in London. Ihr Hobby: Sie unterhalten sich den ganzen Tag über einen von ihnen erfundenen Bekanntenkreis, der aus Privatdetektiven, Mitgliedern der höheren Gesellschaft und vielen anderen besteht. Man weiß als Leserin manchmal kaum, was wirklich passiert, so sehr gehen die Frauen in ihren Erzählungen auf. Doch dann lernt Deirdre einen ihrer Favoriten im wirklichen Leben kennen. Und jetzt wird es spannend. Ich verrate natürlich nicht, wie es ausgeht, aber den weiteren Verlauf hätte ich so nicht erwartet.
Philippe Collin: Der Barmann des Ritz
Paris ist von 1940-1944 von den Nazis besetzt – auch das noble Hotel Ritz. In der Bar treffen sich Nazi-Militärs, Kollaborateure und Mitglieder der französischen Elite, die ungezwungen lange Abende miteinander verbringen. Der berühmte Barmann des Ritz Frank Meier mixt seine Cocktails und ist bei den Gästen, von Hermann Göring über Ernst Jünger, Sascha Guitry bis Jean Cocteau, ein geschätzter Gesprächspartner. Dabei gelangt er an Informationen über die Résistance, aber auch die skrupellosen Pläne der Besatzer. Zudem nutzt er seine Beziehungen, um Reisepässe an gefährdete Personen zu vermitteln, damit diese das Land verlassen können. Als österreichischer Jude fürchtet er auch, dass seine Identität entdeckt und er verhaftet wird. Philippe Collin erzählt nicht nur eine sehr nah an Fakten angelehnte Geschichte (den Barmann Frank Meier gab es tatsächlich), sondern verdeutlicht auch die zwiespältige Situation, in der Meier steckt: Die Nazis sind nicht alle Verbrecher und nicht alle Franzosen sind gut und stehen auf der richtigen Seite.
Michail Bulgakov: Die verhängnisvollen Eier
Michail Bulgakov ist vor allem für seine Romansatire Der Meister und Margarita bekannt, die als Klassiker der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts gilt. Ich bin regelmäßig daran gescheitert. Auf der Suche nach einer Alternative bin ich auf den kurzen Roman – mit dem sehr merkwürdigen Titel – Die verhängnisvollen Eier gestoßen, erschienen bei Penguin, Er hat mich mit seinem schrägen Humor und dem bitterbösen Witz sofort gepackt: Im April des Jahres 1928 entdeckt ein kauziger Zoologie-Professor in Moskau einen Lichtstrahl, der das Wachstum des von ihm untersuchten Froschlaichs exorbitant beschleunigt. Ein politischer Abenteurer zwingt ihm einige seiner Strahlen-Apparaturen ab, um damit im fernen Smolensk die Hühnerzucht auf Vordermann zu bringen und die anstehende Hungersnot in den Griff zu bekommen. Aufgrund von Verwechslungen laufen die Bestrahlungsversuche in der Smolensker Kolchose aus dem Ruder. In der Folge sorgen riesige Reptilien für die Dezimierung der Bevölkerung und die anstehende Apokalypse wird nur dank eines Schneesturms verhindert. Die verhängnisvollen Eier ist eine Groteske darüber, welche fatalen Folgen Macht in den falschen Händen hat. Großartig geschrieben und erschreckend aktuell.
Rabea Weisher: Wie wir so schön wurden
Rabea Weisher ergründet in Wie wir so schön wurden, erschienen bei Diogenes, unsere Schönheitsvorstellungen. Eine Biografie des Gesichts, so der Untertitel, widmet sich der Beschreibung und Untersuchung der unterschiedlichen Facetten des Gesichtes. So kommen natürlich Themen wie Nasen, Augenbrauen oder Jawline zur Sprache. Weisher schaut aber auch auf die vermeintlichen Makel, das Alter oder die Ideale, nach denen wir uns richten – und die in den letzten Jahren zunehmend durch Social-Media-Kanäle geformt wurden. Das Buch ist gründlich recherchiert, aber kein langatmiger Faktencheck, sondern eine sehr unterhaltsame Mischung mit Elementen aus Soziologie, Anthropologie, Psychologie und Kunstgeschichte. Denn Schönheit ist sowohl von biologischen Mustern als auch kulturellen Moden abhängig und steht unter dem Einfluss von politischen Ansichten, ökonomischen Absichten und technischen Entwicklungen. Auf der Website www.rabeaweisher.de könnt Ihr noch tiefer ins Thema Schönheit eintauchen.
Audrey Magee: Die Kolonie
Ich gebe zu, dass ich ein wenig Mühe hatte, in den Roman Die Kolonie zu finden, erschienen bei Harper Collins. Aber dann entwickelte er einen Sog, der mich nicht mehr losließ. Im Sommer 1979 landen ein Londoner Künstler und ein französischer Linguist auf einer abgelegenen irischen Insel. Der Künstler will die zerklüfteten Klippen im Atlantik malen, der Linguist den Niedergang der irischen Sprache verfolgen, die auf der Insel fast ausschließlich gesprochen wird. Jeder der Männer möchte die unberührte Insel und seine Bewohner für sich allein haben. Die Spannung zwischen den beiden zieht im Laufe des Sommers Kreise über die gesamte Insel. Das karge Leben der Inselbewohner wird vor dem Hintergrund des Nordirlandkonfliktes geschildert, der immer wieder in kurzen Episoden vorkommt. Auch die politischen Konflikte führen zu Spannungen und Auseinandersetzungen – zwischen den Generationen, zwischen Männer und Frauen. Und hier erklärt sich auch der Titel des Buches Die Kolonie. Man denkt zuerst an Südamerika, die Karibik oder Afrika. Doch auch Nordirland ist noch immer Teil Großbritanniens und damit eine Kolonie.
Angela Steidele: Ins Dunkel
Schon wieder ein Roman über die 20er und 30er Jahre und doch etwas anders, denn der erzählerische Ansatz ist ganz besonders: Die beiden Hauptfiguren Greta Garbo und Erika Mann treffen sich in den 60ern in einem Schweizer Bergdorf und blicken zurück auf die 20er, die Zeit zwischen Stumm- und Tonfilm, zwischen Demokratie und Nazi-Diktatur. Tatsächlich ist der Filmansatz gut gewählt, denn in den 20er Jahre entwickelte sich die deutsche Filmindustrie zur zweitgrößten nach den USA. Und die Filme liefen in den prächtigsten Kinopalästen, die zum Teil mit bis zu 2000 Sitzplätzen ausgestattet waren. Neben Garbo und Mann treten weitere Film-Berühmtheiten wie Marlene Dietrich, Anita Berber oder die Regisseure Josef von Sternberg und Friedrich Murnau auf. Daneben lernt Ihr heute eher unbekannte Persönlichkeiten wie Salka Viertel, Beraterin von Garbo, oder Mauritz Stiller, Regisseur und Entdecker der Garbo, kennen. Ins Dunkel, erschienen bei Suhrkamp, ist voller Fakten, wunderbar verpackt in eine gut lesbare Geschichte.
Karin Michaelis: Das gefährliche Alter
Elsie ist Anfang Vierzig und hat die Ehe mit ihrem langweiligen Mann gründlich satt. Sie lässt sich scheiden und zieht in ihre weiße Villa am Meer, um die Wechseljahre in Ruhe zu überstehen. Dort wird ihr bewusst, dass sie in Wahrheit vor ihrer Leidenschaft für einen jüngeren Mann geflohen ist. Soweit – so normal. Doch die Dänin Karin Michaelis hat ihren Roman nicht 2025, sondern schon 1910 geschrieben. In Form von Briefen und Tagebucheinträgen wird das Seelenleben von Elsie offengelegt, die sich gegen gesellschaftliche Konventionen auflehnt und nach eigenen Regeln leben will. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ungemein skandalös. Trotzdem war Das gefährliche Alter, aktuell neu erschienen bei Ebersbach & Simon, ein literarischer Erfolg, wurde zum Kultbuch und inspirierte viele andere Schriftstellerinnen, wie zum Beispiel Colette (hier vorgestellt). Das sehr aktuelle Nachwort von Manuela Reichert unterstreicht die wichtige Rolle, die dieses Buch bei seinem Erscheinen gespielt hat und zeigt, wie zeitlos aktuell dieser Roman ist.
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Liebe Sybille,
die ersten drei Bücher finde ich am spannendsten: „Die Brontës gingen zu Woolworths“ schreit nach mir – ich liebe ja die Mitford Sisters. „Der Barmann des Ritz“ klingt sehr interessant – Frankreich im 2. Weltkrieg, das Setting im Ritz, super! Und das Eier-Buch, nun ja ich weiß nicht. Klingt ein bisschen wie ein mies gemachter Endzeit-Film, wie er früher nachts auf RTL2 lief, aber ich mag ja skurrilen Humor, von daher: Gebe ich eine Chance!
Herzlichst,
Dani
PS: Jawline musste ich erstmal googlen.
Liebe Dani,
gute Wahl! Was das Eier-Buch angeht: Es gibt tatsächlich einige russische und eine italienische Verfilmung. Eine der russischen Verfilmungen kann man auf YouTube finden. Ich finde ja, der Stoff hätte mehr Aufmerksamkeit verdient;-).
Liebe Grüße
Sybille