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Letzte Woche war es hier auf dem Blog sehr ruhig. Der Grund: Sybille und ich sind zu unserer Freundin Julia in die Eifel gefahren, um dort bei den Aufräumarbeiten nach der Flutkatastrophe zu helfen. Ich habe lange überlegt, ob ich das hier überhaupt thematisieren möchte, aber darüber zu schreiben, hilft mir, die Erlebnisse zu verarbeiten und es ermöglicht Euch, die Ihr nicht vor Ort seid, vielleicht noch einmal einen anderen Blick auf die Geschehnisse. Denn die Bilder im Internet, im Fernsehen und in den Zeitungen sind krass, spiegeln die Realität aber nur ansatzweise wieder.
Gibt es einen Vergleich?
Doch wo fängt man an, wenn man die Situation vor Ort beschreiben möchte? Vielleicht bei einem Vergleich? Der Mensch möchte immer vergleichen, sortieren, einordnen. Als wir die triefenden, schlammverdreckten Kleider, Schuhe, Kuscheltiere, Kinderwagen und Fahrräder aus einer Kleidersammelstelle schleppten, in IKEA-Plastikboxen, über mehrere Stunden in einer langen Menschenkette, da dachte ich – mit Blick auf den turmhohen Kleiderberg – „Das sieht aus wie im Krieg“. Vor den Häusern, in den Straßen, überall stapelte sich der Müll. Kaputtes Geschirr, Haustüren, Schränke, Gartenmöbel, Autoreifen, alte Computer und unwahrscheinlich viele Waschmaschinen – alles lag und liegt auf riesigen Haufen. Nichts ist in irgendeiner Weise sortiert oder für den Abtransport zerkleinert worden. Doch schon im nächsten Moment habe ich mir den Vergleich mit der düstersten Stunde der deutschen Geschichte verbeten. Nichtsdestotrotz: Eine Hochwasserkatastrophe in diesem Ausmaß hat unsere Generation hierzulande noch nicht erlebt.
Der Schlamm ist unnachgiebig
Nie vergessen werde ich den süßlichen Geruch, der überall in den Luft hing und den wir im Auto mit nach Hause genommen haben. Ein Mix aus Omas Dachboden, Nässe, Schimmel, Baustelle und Fäkalien. Und dieser Schlamm, der sich überall festheftete wie Kleber, an den Möbeln, am Boden, an den Gummistiefeln und selbst an der Schaufel, mit der wir versuchten, ihn aus den Häusern zu bringen. Ich bezweifle, dass viele der schmucken alten Fachwerkhäuser gerettet werden können, in dieser Straße in Odendorf, direkt am Orbach. Der Schlamm ist unnachgiebig. In einem Gebäude haben wir neben den morschen Holzdielen auch die Wände bis zur Dämmwolle heruntergerissen. Der Besitzer, ein junger Mann, wollte von Abriss aber nichts hören. „Der Statiker hat das Gebäude freigegeben! So schnell gebe ich nicht auf“, verkündete er mit entschlossener Miene. Gerade erst hatte er das historische Haus fertig renoviert, in den nächsten Tagen wollte er mit seiner Familie einziehen. Seinen Nachbarn traf es noch härter: An dessen Hauswand hängt – wie an so vielen anderen – der gefürchtete neon-orangefarbene Zettel „Einsturzgefährdet, betreten verboten!“
Schwarzer rheinischer Humor
Doch auch wenn hier vieles vermutlich nicht mehr gerettet werden kann, packte jeder mit an, beim Schaufeln, Schleppen, Kehren – ein unglaublicher Zusammenhalt herrschte zwischen den Menschen aus der Region, den Helfern aus ganz Deutschland, der Feuerwehr, dem THW, der Polizei und Bundeswehr. Selbst Lachen klang aus einigen Hauseingängen, schwarzer rheinischer Humor. „Mit Humor wird jede Situation erträglicher“ sagt meine Freundin Julia, die im ebenfalls betroffenen Euskirchen lebt. Am Abend gab es Bier und Livemusik rund um den Infopoint, an dem zuvor Handschuhe, Schaufeln, Kaffee und Bratwürste an die Helfer ausgegeben wurden. Wer einmal einen richtigen Flow erlebt hat, also den Zustand, in dem man nur noch funktioniert ohne auf die Uhr zu sehen, Hunger zu spüren oder sich von Außen ablenken zu lassen, versteht, warum die Menschen hier über Stunden zu Höchstleistungen fähig sind. Erst am Ende des Tages fangen Arme und Beine plötzlich zu zittern an. So ein Eimer voller Schlamm wiegt sicher 10 Kilo.
Wasser: Segen & Fluch
Plötzlich trat auch Corona in den Hintergrund. Ich kann mich kaum erinnern, wann ich mich das letzte Mal mit so vielen Menschen an einem Ort so nah beieinander befunden habe. Dass Hochwasserkatastrophen auch Herde für Infektionskrankheiten wie Cholera oder Ruhr sind, darüber haben wir lieber nicht nachgedacht. Doch wer die Situation vor Ort beschreiben möchte, muss auch über das Wasser sprechen. Wasser das in den Eifeldörfern wie Odendorf und Schweinheim bereits abgeflossen war, aber überall seine Spuren hinterlassen hat – nicht nur in Form von Schlamm. Die gewaltigen Sturzbäche haben hier Häuser fortgerissen, Scheiben eingeschlagen, Bahnschienen untergraben, Bäume entwurzelt, Autos kilometerweit transportiert, und sogar tiefe Löcher im Asphalt hinterlassen. Und sie haben Menschenleben genommen, Familien zerrissen, Angehörige perspektivlos zurückgelassen. Wasser ist wohl eines der größten Mysterien und die Wissenschaft ist noch weit davon entfernt es zu verstehen. Es ist Segen und Fluch zugleich. Und es macht in diesem Falle wieder sehr deutlich, wie wenig Macht wir Menschen doch über die Natur haben.
Danke für Deinen Erfahrungsbericht, liebe Dani. Ich hatte Gänsehaut beim Lesen. Es ist so toll, dass Ihr hingefahren seid und beim Aufräumen geholfen habt. Allen, die selbst vom Hochwasser betroffen sind, wünsche ich viel Kraft.