Von Chamisso bis Zeppelin – Fünf aktuelle Romanbiografien
Dani

Neben meinen “Soft-Krimis” von Agatha Christie, Dorothy L. Sayers und Co. sowie Gesellschaftsromanen von Jane Austen bis Julian Fellowes lese ich am liebsten Romanbiografien! Aktuell liegen ganze fünf Exemplare auf meinem Lesesessel-Beistelltischchen. In den Werken geht es um die Künstlerin Angelika Kauffmann, den Schriftsteller und Expeditionsteilnehmer Adelbert von Chamisso, die Botaniker Carl von Linné und Johann Siegesbeck, die Flugpioniere Otto Lilienthal und Graf von Zeppelin sowie den Künstler Edvard Munch und seine Geliebte Tulla Larsen.

Ein Hoch auf Romanbiografien!

Ich lese unheimlich gerne Romanbiografien – vor allem aus der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts! Natürlich sind die allermeisten Dialoge und auch das eine oder andere Geschehnis historisch nicht belegt, aber dafür gelingt es ihnen mit Leichtigkeit die Porträtierten lebendig und nahbar werden zu lassen und – ganz nebenbei – viel Wissen über die Zeitgeschichte zu vermitteln. Ich habe zwar auch einen Faible für Biografien (vor allem die spannenden Werke von Michaela Karl), aber häufig wandern sie bei mir nur zur Hälfte gelesen ins Buchregal, weil mir das Durchhaltevermögen fehlt. Das passiert mir bei Romanbiografien in der Regel nicht. Favoriten sind z.B. “Die Vermessung der Welt” (Daniel Kehlmann) über Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß, “Das Erlkönig-Manöver” (Robert Löhr) über ein Abenteuer mit Goethe und Schiller oder “Lehrerin einer neuen Zeit” (Beate Maly) über Maria Montessori. Auch “Dem Paradies so fern” (Sophia Mott) über Martha Liebermann, “Die Dirigentin” (Maria Peters) über Antonia Brico oder der autobiografische Roman “Sonderappell” von Sybil Gräfin Schönfeldt haben mich schwer beeindruckt.

Doch nun zu meiner aktuellen Romanbiografie-Lektüre:

1. Gabriele Katz: Angelika Kauffmann – Eine Ikone weiblicher Kunst

Seit uns Sybille hier vor ein paar Jahren auf eine Ausstellung über Angelika Kauffmann (1741-1807) verwiesen hat, bin ich beeindruckt von dieser begabten Künstlerin (und habe mich vor zwei Jahren in den Uffizien sogleich auf die Suche nach ihrem Selbstportrait begeben); nicht nur von ihren wahnsinnig ästhetischen Gemälden, sondern auch von ihrer starken Persönlichkeit. Kauffmann gelang es in einer männerdominierten Zeit und in einem männerdominierten Beruf nicht nur zu bestehen, sondern herauszuragen. Die Romanbiografie von Gabriele Katz beschreibt vor allem ihre Zeit in England, in der sie sich, nachdem sie in Italien bereits Fuß gefasst und zu einem gewissen Ruhm gelangt war, erneut gegen ihre männlichen Kollegen durchsetzen musste. Das gelang ihr durch ihren speziellen Stil – sie malte vor allem Frauen, ohne Korsett in weißen, fließenden Gewändern – mit dem sie Trends, nicht nur in der Kunst sondern auch in der Mode setzte. Zu Recht gilt sie als einflussreichste Malerin des 18. Jahrhundert und auch als erste “Influencerin” ihrer Zeit.

Gabriele Katz: Angelika Kauffmann - Eine Ikone weiblicher Kunst

Angelika Kauffmann – Eine Ikone weiblicher Kunst ist im Südverlag erschienen und eine unbedingte Empfehlung für alle Kauffmann-Fans, Liebhaber von Büchern über starke Frauen, Malerei und insbesondere Portraitkunst

2. Sebastian Guhr: Chamissimo

Sagt Euch Adelbert von Chamisso (1781-1838) etwas? Vielleicht als Autor des Peter Schlemihl? Wir haben das Buch in der Schule behandelt, aber erst im Literaturwissenschaftsstudium habe ich erfahren, dass der gebürtige Franzose auch Botaniker und Weltreisender war. “Chamissimo” von Sebastian Guhr beschreibt vor allem seine Zeit in Deutschland, die mit der Vertreibung seiner Familie während der französischen Revolution beginnt. Von Chamisso wird zunächst Page am preussischen Hof, meldet sich dann freiwillig für die Armee “um ein richtiger Preusse zu werden” und sammelt mit zwei Kameraden – dem späteren Verleger Eduard Hitzig und Karl Varnhagen, dem späteren Mann der Salondame Rahel Levin – erste literarische Erfahrungen. Besonders spannend fand ich die Beschreibungen der Berliner Salons, darüber möchte ich gerne noch einen gesonderten Beitrag schreiben. Nach einer Flucht vor Napoleons Armee und einem Sommer als Liebhaber Madame de Staëls in der Schweiz endet das Buch mit Chamissos Weltreise und seinem Erfolg als Botaniker an der Humboldt-Universität. Ein wunderbares Buch, das ich an einem Tag “weggeatmet” habe.

Sebastian Guhr: Chamissimo

“Chamissimo” ist im Marix Verlag erschienen und eine große Empfehlung für alle, die sich für Berlins Literatur- und Salonszene im 19. Jahrhundert, die preussische Geschichte und die ersten großen Weltreisen interessieren

3. Axel S. Meyer: Der Mann, der die Welt ordnete

Axel S. Meyers Roman “Der Mann, der die Welt ordnete” ist speziell! Vom Stil hat er mich ein wenig an “Das außergewöhnliche Leben eines Dienstmädchens namens PETITE, besser bekannt als Madame Tussaud” von Edward Carey erinnert (hier vorgestellt). Die Geschichten sind stets ein wenig zu übertrieben um wahr zu sein, und doch fragt man sich ständig: “Ist das wirklich so passiert?” Ist es natürlich nicht, das macht Meyer im Nachwort deutlich. So ist der Roman beides: Höchst amüsant und informativ – und darin liegt auch etwas das Manko, denn einer Romanbiografie fehlt ein bisschen die Ernsthaftigkeit. Doch zum Inhalt: Im Mittelpunkt stehen das Leben des Botaniker Carl von Linné (1756-1778) und das seines Wiedersachers Johann Siegesbeck (1686-1755) – einer aus Schweden, der andere aus Deutschland. Während von Lineé die Botanik mit einer allumfassenden pflanzlichen Enzyklopädie revolutionieren möchte, hält Siegesbeck das für ketzerisch und bekämpft ihn erbittert. Beide werden mit einer ordentlichen Portion Humor und Sarkasmus gezeichnet,  auch Zeitgenossen wie Anders Celsius und Baron Münchhausen kommen zu Wort.

“Der Mann, der die Welt ordnete” ist bei Kindler erschienen und absolut unterhaltsam – nicht nur für Pflanzenfreunde; das Nachwort enthält eine Übersicht einiger Pflanzen und ihrer Namenspatrone; von Meyer stammt auch das nächste Werk:

4. Axel S. Meyer: Der Sonne so Nah

Auch in “Der Sonne so nah” stehen sich wieder zwei Visionäre gegenüber: Otto Lilienthal (1848-1896) und Graf von Zeppelin (1838-1917). Wir begleiten die beiden durch ihre Kindheit, beobachten sie bei den mal gelungenen, mal missglückten Versuchen, sich in die Lüfte zu erheben. Während Otto Lilienthal als Ältester einer bitterarmen Familie im pommerschen Anklam aufwächst, erlebt Ferdinand Graf von Zeppelin seine Kindheit als Spross einer Adelsfamilie bei Konstanz am Bodensee. Und während Lilienthal in unerschütterlichem Glauben immer wieder Flügel baut und neue Versuche unternimmt, sich vom Boden zu lösen, möchte Graf von Zeppelin im Gegensatz zum “irren Vogelflieger” ein mächtiges Luftschiff bauen. Gemeinsam haben beide, dass sie von ihren Mitmenschen als Fantasten verspottet werden, sich aber nicht beirren lassen. “Nebenbei” erfährt der Leser viel über den Amerikanischen Bürgerkrieg und den Deutsch-Französischen Krieg. Meyer schreibt wieder mit leichter Feder und Augenzwinkern, besonders lebendig wird das Buch durch kleine Anekdoten und Randnotizen. Im Nachwort trennt der Autor abermals Realität von Fiktion.

Axel S. Meyer: Der Mann, der die Welt ordnete & Der Sonne so nah

Die Romanbiografien von Axel S. Meyer sind Wälzer, lassen sich dank des flotten, witzigen Schreibstils aber gut weglesen, eine Empfehlung für alle, die sich näher mit der Geschichte der Botanik und der Flugpioniere beschäftigen möchten

5. Lene Therese Teigen: Schatten der Erinnerung

Auch mit Lene Therese Teigens Werk “Schatten der Erinnerung” über die Hassliebe zwischen dem norwegischen Maler Edvard Munch (“Der Schrei”) und der Tochter eines erfolgreichen Weinhändlers, Tulla Larsen, habe ich mich schwer getan. Irgendwie habe ich nicht richtig in der Buch rein gefunden. Das mag an den etwas schwierigen Charakteren gelegen habe, vielleicht auch am Schreibstil. Darum geht’s: Die leidenschaftliche und dramatische Geschichte zwischen Edvard Munch und Tulla Larsen beginnt 1898 in Oslo und endet 1902 mit einem Pistolenschuss in Munchs Sommerhaus. Lene Therese Teigen erzählt sie ausschließlich aus Tullas Sicht, u. a. anhand des realen Briefwechsels zwischen Tulla und Munch, aufgrund von Notizen Munchs sowie einer Reihe von Tagebuchaufzeichnungen von Tulla Larsen. Auf diese Weise entsteht ein ganz neuer Blick auf den berühmten, aber auch seelisch angeschlagenen und unter erheblichen Selbstzweifeln leidenden Maler und seine Muse, die ihn zu zahlreichen, teils äußerst dramatischen, Bildern anregte.

Lene Therese Teigen: Schatten der Erinnerung

Die norwegische Autorin Lene Therese Teigen hat sich intensiv mit Munch und Larsen beschäftigt – ein Muss für alle, die mehr über Edvard Munch erfahren möchten; Schatten der Erinnerung ist bei ebersbach & simon erschienen

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Habt Ihr eine der Romanbiografien bereits gelesen? Welche interessiert Euch am meisten?

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2 Kommentare
  • Sybille sagt:

    Liebe Dani,

    die Biografien über Chamisso und Angelika Kaufmann stehen jetzt auf meiner Liste für die nächsten Bücherkäufe. Und es war immer ein kleiner Traum von mir, einen Salon wie Rahel Varnhagen zu haben.

    Herzlichst
    Sybille

  • Dani sagt:

    Liebe Sybille,

    ja, so ein Salon wäre etwas Feines! Am besten in der urig gemütlichen Bibliothek, ausgestattet mit Kamin, Chesterfield-Sofa und Ohrensesseln.

    Herzliche Grüße
    Daniela

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